Rückblick auf den ESC 2016 mit etwas schalem Nachgeschmack

Austria_2016_05_03 (2)Wien, Österreich – Nun ist der Eurovision Song Contest 2016 auch schon wieder Geschichte. Ich war mit dem Eurovision-Austria Team vor Ort und erlebte spannende Tage und 3 tolle Shows in Stockholm live.

Es war schön zu erleben, dass unsere Zoe so toll vor Ort ankam, um unsere Austro-Französin war ein echtes G’riss und sie genoss den Rummel um sich sichtlich. Die Moderation von Mans & Petra geht mit Sicherheit als Meilenstein in die Eurovision Song Contest Geschichte ein: Das war Entertainment at its best! Mehr geht echt nicht! Die Eurovisionsstimmung war außerdem durch die aus allen möglichen Ländern angereisten Fans mitreißend und für etwas mehr als eine Woche konnte man so den Horrormeldungen des weltweiten Tagesgeschehens etwas entfliehen. Aber leider nur fast: Es sollte zunächst erwähnt werden, dass ich vor allen Teilnehmer/innen größten Respekt habe, jede/r hat das Beste gegeben, einen Marathon an Interviews und Auftritten hingelegt und letztlich der ganzen Welt eine wunderbare Show geboten.

Russland_2016_05_06 (3)Das Motto des heurigen Eurovision Song Contest lautete „Come Together“, nur leider haben einige, vor allem die geheiligten „ESC Journalist/innen“ das offenbar nicht gerafft. Egal mit wem Du gesprochen hast, bei fast jeder und jedem war von vornherein ein Sieg Russlands unerwünscht. Nicht etwa aus künstlerischen Gründen, nein, sondern weil man aus Russland bekannter Weise nicht gerade Berauschendes über den Umgang mit der LGBT-Community zu berichten weiß. Da gibt es ganz klar nichts zu beschönigen, aber es stellt sich einem schon die Frage, ob man Künstler wie Polina Gagarina vom letzten Jahr (wir erinnern uns an die Buhrufe bei der Punktewertung) oder Sergey Lazarev für die Politik Russlands verantwortlich machen darf und soll. Denn genau das ist geschehen. Denn nimmt man es politisch ganz korrekt, so gibt es noch ein paar Länder innerhalb der Eurovision Song Contest Familie, wo so einiges rund um die Menschenrechte auch nicht so toll läuft. Da hat sich aber keiner daran gestoßen.

Ukraine_2016_05_07 (2)Als Krönung trat die Ukraine, die ja bekannter Maßen in einem aktuellen Konflikt mit Russland steckt, der ebenfalls nicht gut zu heißen ist, mit einer Sängerin und einem Song, die quasi als „Vergangenheitsbewältigung und Abrechnung mit dem ehemaligen Sowjetsystem“ antraten und von Anfang an von der Presse mit aktuellen Vergleichen zur Krimbesetzung durch Putinrussland in Verbindung gebracht wurden.  Und noch einmal mehr wurde das „böse Russland“ bemüht, und das in einem Bewerb, der angeblich unpolitisch sein sollte. Nun ja, das war der Eurovision Song Contest mit Sicherheit nie ganz, aber heuer war es mehr als offensichtlich.

Sergey Lasarev Eurovision 2016Ich spreche an dieser Stelle ein Kompliment den Zusehern vor den TV Geräten aus, denn wäre es nach Ihnen gegangen, so hätte Sergey Lazarev klar gewonnen. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht der „Anwalt“ von Herrn Lazarev, aber Fakt ist, er hat eine gesanglich perfekte und atemberaubend inszenierte Performance geliefert, sicher die beste beim ESC in vielen Jahren. Und manche ESC-Journalist/innen erblödeten sich sogar, die Perfektion als „geht gar nicht!“ zu verurteilen, so nach dem Motto: Perfekt = herzlos = nicht berührend, blablabla….. Sergey trat einfach nur fürs falsche Land an, sonst hätte sich wohl auch die „ESC-Presse“ überschlagen vor Lobeshymnen, der ja sonst jeder falsche Ton, jede nicht so perfekte Geste und jeder Kiekser auffällt. Beim Publikum, das gevotet hat, scheint die Leistung mehr zu zählen, was schön ist.

Polen_2016_05_07 (7)Nur der „Fachjury“ (5 Leute pro Land, das nennt sich laut EBU-Verständnis repräsentativ!) war der Sieg der Ukraine letztlich zu verdanken. Auch die Fachjury-Bewertung des polnischen Beitrages, der nur durchs Publikum vom vorletzten Rang auf Platz 8 gehievt wurde (laut Publikumsvoting Platz 3!) spricht da Bände, und auch unsere Zoe wurde vom Publikum geliebt und landete beim Semifinale, wäre es nur nach dem Publikum gegangen, am 2. Platz und im Finale am 8. Platz! Und diese Fachjury, vor allem die lächerliche Anzahl von 5 Maxerln pro Land, sollte man gründlich überdenken. Denn auch bei Conchita hat damals das Publikum klar für Sieg entschieden, nur die diversen „Fachjurys“ lagen auch hier teilweise atemberaubend daneben, gereicht hat es aber letztlich Gott sei Dank trotzdem für unsere Conchi. Absicht?

Jamala Ukraine Gewinner Eurovision 2016Ich würde mir wünschen, dass die Damen und Herren der ESC Presse sich künftig wieder einkriegen und die Darbietung der Künstler/innen beurteilen, ohne ihre Reisedestinationswünsche als Priorität zu sehen.  Und ich glaube außerdem, dass es für jene Menschen in Russland, die sich zur LGTB Community bekennen sicher eine größere Anerkennung ist, wenn man im Falle eines Sieges erst Recht dorthin fährt, um zu zeigen, es gibt uns und wie sagte schon Conchita „We are unity and we are unstoppable!“ Dennoch Gratulation an Jamala, die, wie alle anderen auch, eine tolle Perfromance geliefert hat und die eine großartige Künstlerin ist.

4 KOMMENTARE

  1. Das Ironische daran ist ja, dass mit der Ukraine ein Land gewonnen hat, das in Sachen Anerkennung von Schwulen und Lesben in etwa auf einer Stufe mit Russland steht.

    Und auch, wenn ‚1944‘ tatsächlich mein Lieblingstitel gewonnen hat, ärgert es mich, dass der Publikumswille so eklatant mißachtet wurde. Zumal ich Sergey auch mochte. Die Jurys müssen weg!

    Und Gratulation an Österreich und die tolle Zoe!

  2. Ich kann die Entscheidung der internationalen Jurys sehr wohl
    nachvollziehen: Sieht man von der imposanten Bühnenshow (die in ihrer
    Perfektion auf mich einen allzu glatten, künstlichen Eindruck machte)
    ab, konnte der russische Beitrag wenig überzeugen: ein belangloser
    Plastic-Pop-Song wurde mit recht dünner Stimme vorgetragen. Der
    ukrainische Titel, der ebenfalls nicht zu dem zählt, was ich in meiner
    Freizeit gerne höre, wirkte da wesentlich authentischer.

  3. Ich kann die Entscheidung der internationalen Jurys sehr wohl nachvollziehen: Sieht man von der imposanten Bühnenshow (die in ihrer Perfektion auf mich einen allzu glatten, künstlichen Eindruck machte) ab, konnte der russische Beitrag wenig überzeugen: ein belangloser Plastic-Pop-Song wurde mit recht dünner Stimme vorgetragen. Der ukrainische Titel, der ebenfall nicht zu dem zählt, was ich in meiner Freizeit gerne höre, wirkte da wesentlich authentischer.

  4. Sehr gut geschrieben Kompliment, ich glaube auch dass Russland gehindert wurde zu siegen.
    Und unsere Comunity war schon ein bisschen extrem contra Sergey. Trotzdem im mag den Song ist einer der besten dieses Jahres tolle Leistung des Interpreten.
    Kompliment für diesen Artikel. Gruss aus der Schweiz

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